Takt und Losgelassenheit
Die Grundvoraussetzungen für das Training von Pferden ist das Zusammenspiel aus Takt und Losgelassenheit. Das gleichmäßige Bewegen (Takt) führt zu losgelassener Muskulatur und einem harmonischen physiologischen Bewegungsbild. Muskelverspannungen hingegen führen zu einem unkoordinierten und ruckartigen Gangbild, welches nicht immer auf den ersten Blick erkennbar sein muss. Nur eine gut durchblutete Muskulatur kann Kraft aufbauen und diese entfalten. Durch Verspannungen des Muskel-Faszien-Systems werden Blutgefäße komprimiert und vermindern eine gute Blutversorgung.
Ist ein Pferd losgelassen, bewegt es sich fließend und koordiniert. Ein Zusammenspiel aus der vorderen und hinteren Gliedmaße sowie ein schwingender Rücken, der die Bewegung rhythmisch weiterleitet, ist zu erkennen. Die Muskulatur sollte entspannt sein, muss aber eine gewisse Spannung aufweisen, damit das Pferd nicht in eine passive Haltung verfällt. Dies wird als positive Spannung verstanden. Das Pferd soll in der Lage sein, den eigenen Rumpf so zu stabilisieren, damit die Rückenmuskulatur keine Haltearbeit übernehmen muss und somit locker zum Schwingen kommen kann.
Über ein korrektes Vorwärts-Abwärts kann diese Losgelassenheit erreicht werden. Dabei sind das Heben des Brustbeins und das aktive Dehnen des Halses essenziell und darf nicht mit einem bloßen Hängenlassen des Halses verwechselt werden. Verliert das Pferd beim Reiten den Takt z.B. durch zu schnelles oder zu langsames Reiten, verliert das Pferd auch an Losgelassenheit und die daran gebundene Koordination kann nicht wie gewohnt abgerufen werden.
Jedes Pferd hat sein individuelles Tempo, in dem es taktrein läuft und sich lösen kann. Definiert wird das durch ein energisches Abfußen der Hinterhand, ein vermehrtes Untertreten in Richtung Schwerpunkt des Pferdes und einer gesteigerten Hankenbeugung.
Beim Warmreiten oder Warmlaufen an der Lounge ist es wichtig, das Pferd nicht mit übersteigertem Tempo zu überrumpeln, welches zu Verspannungen der überforderten Muskulatur kommen kann. Entscheidend sind ruhige Bewegungen, die den Muskel-Sehnen-Komplex optimal vorbereiten. Die Aufgabe des Reiters ist es, ein Gleichmaß von treibenden und verwehrenden Hilfen zu finden, um dem Pferd zu taktreinen Bewegungen zu verhelfen.
Eine freie und tiefe Atmung ist für die innere (psychische) und äußere (körperliche) Losgelassenheit wichtig. Eine Minderversorgung an Sauerstoff in der Muskulatur führt zur Übersäuerung und somit zur Ermüdung der Muskeln. Einige Pferde neigen bei Überforderung durch unangemessene Trainingsmethoden oder veränderten örtlichen Trainingsbedingungen dazu die Luft anzuhalten. Das hat einen Sauerstoffmangel zur Folge, da die Atemfrequenz gestört ist. Aber auch durch eine fehlerhafte oder unpassende Ausrüstung kann die Atmung gestört oder verändert sein. Dazu zählen zu eng verschnallte Sperr- und Nasenriemen, die das freie Einatmen verhindern oder Sattelpads (-kissen) und Sattelgurte, die die Rippenbewegung limitieren.
Zur Losgelassenheit des Pferdes gehört jedoch auch ein koordinierter und losgelassener Reiter, der geschmeidig sitzen kann und sich somit die Balance des Pferdes erarbeiten kann. So kann sich eine psychische sowie physische Anspannung des Reiters in Taktunreinheiten und Verspannungen des Pferdes äußern. Ein innerlich losgelassenes Pferd kann sich aktiv an die Reiterhand herandehnen und den Rücken locker hergeben. Das ermöglicht dem Tier, den Menschen auf seinem Rücken ausbalancieren und ohne Schäden tragen zu können.
Äußerlich ist die Losgelassenheit durch eine gleichmäßige Atemfrequenz, Abschnauben, einem lockeren Muskelspiel und gleichmäßigen, koordinierten Bewegungen sowie einem zufriedenen Kauen mit leichter (!) Schaumbildung zu erkennen. Doch kommen derartige Anzeichen in einem gesteigerten Maße vor, entspricht dies nicht mehr der Losgelassenheit, sondern kann ein Ausdruck von Unwohlsein und Stress sein.
Ein Erscheinungsbild eines losgelassenen Pferdes kann unterschiedlich sein und ist abhängig von Rasse und Exterieur. Zudem besitzt nicht jedes Tier die gleiche Arbeitsmoral oder Nervenkostüm. So können Schmerzen und Stress das Pferd daran hindern, sich unter dem Reiter entspannen zu können. Dies sollte jedem Pferd schonend und fair beigebracht werden. Pferde, die innerlich nicht loslassen können, zeigen zum Teil Zähneknirschen, Schweifschlagen, übermäßiges Erschrecken, Taktfehler oder Muskelabbau trotz Training. Ein regelmäßiger Check Up des eigenen Tieres und die engmaschige Kontrolle des Equipments ist somit unerlässlich und sollte für jeden selbstverständlich sein.
Balance
In der Ausbildung eines Pferdes sollte zudem Wert auf die innere sowie die muskuläre Balance und die innerhalb der Bewegung gelegt werden. Die muskuläre Balance beschreibt das Ausbalancieren unter dem Reiter. Dazu zählt die Balance zwischen Hinter- und Vorhand zu finden, was nicht nur der vermehrten Lastaufnahme mit der Beckengliedmaße entspricht und somit dem Ziel der Vorhand die Last zu nehmen. Sondern viel mehr die Kraftentfaltung im kompletten Körper zu fördern und damit die Bewegung der Vor- und Hinterhand gleichmäßig zu aktivieren.
Kann das Pferd die Hintergliedmaße kraftvoll nach vorne unter seinem Schwerpunkt schieben und die Bewegung über den Rücken weiterentwickeln, so kann der Brustkorb gehoben und die Vordergliedmaße raumgreifend nach vorne bewegt werden. Bei Ausführung dieses Bewegungsablaufes schiebt das Pferd seinen Reiter automatisch nach vorne, wodurch die Reiter, die sich mit ihrem Oberkörper hinter die Senkrechte lehnen, das Pferd in genau dieser Bewegung stören. Dies kann auch bedingt durch einen schlecht sitzenden Sattel oder eine falsche Positionierung des Beckens passieren.
Balance im Allgemeinen benötigt ein systematisches und überlegtes Training, denn eine muskuläre Disbalance bringt Einbüße bei Takt und Losgelassenheit. Dies kann wiederum zu Schäden an Gelenken, Bändern und Sehnen führen.
Haltung
Für den Takt sind die Rückentätigkeit und die damit verbundene Halshaltung von Bedeutung. Dabei sind nicht nur die Aufrichtung des Halses und die Position des Genicks unter dem Reiter oder bei der Hand- und Longenarbeit zu beachten. Die Halshaltung sollte sich variabel zur Hinterhand- und Rückenaktivität verändern können. Dazu müssen Rücken- und Halsmuskulatur dynamisch arbeiten. Verändert ein Pferd die Halsposition während eines Rittes nicht, besitzt es keine muskuläre Balance. Der Hals ist oben abgestellt und befindet sich in einer absoluten Aufrichtung.
Innerhalb der Aufrichtung unterscheidet man je nach Durchlässigkeit und Aktivität der Hinterhand zwischen der absoluten und der relativen Aufrichtung.
Relative Aufrichtung
Der Grad der Hankenbeugung steht in Relation zur Höhe des Pferdegenicks. Dies zieht ein Gleichgewicht zwischen Hinter- und Vorhandaktivität nach sich. Der Schub aus der Becken-Lendenregion wird über die Wirbelsäule hin zum zervikothorakalen Übergang weitergeleitet. Dieser hebt sich an, wodurch sich die Höhe und Stellung des Genicks ergibt. Ohne das Anheben im Bereich des Widerrists sind die Haltung des Halses und die Bewegungsfreiheit der Schulter nicht möglich. Umgangssprachlich wird das Pferd von hinten nach vorne größer, die Hintergliedmaße greift mehr Raum, sodass das Pferd untertreten kann.
Hierbei spricht man auch von einer relativen Versammlung. Sie ergibt sich aus dem Kraftaufwand und der Koordination der Hinterhand sowie der Stellung der Becken-Lendenregion. Reitet man ein Pferd unter negativer Spannung rückwärts, entstehen ein Hypertonus und eine Verkürzung der langen Sitzbeinmuskulatur sowie die der Kruppe. Das Pferd ist nicht mehr in der Lage, sich in der Becken-Lendenregion zu dehnen oder schwungvoll unterzutreten, somit hat diese Methode nichts mit dem Erarbeiten der relativen Versammlung zu tun. Derartige Verspannungen gehen mit einer fehlenden Rückentätigkeit und mit einer schlecht ausgebildeten Bauchmuskulatur einher.
Damit das Becken nach caudal rotieren und die Brust- und Lendenwirbelsäule aktiv aufgewölbt werden kann, muss eine aktive Bauchmuskulatur und eine dehnungsfähige Rückenlinie existieren. Nur dann kann die Hinterhand unter dem Schwerpunkt federn die Last aufnehmen.
Der Reiter muss der Wirbelsäule des Pferdes Platz gewähren, die Rückenaktivität zulassen und mit treibenden Hilfen die Aktivität der Hinterhand unterstützen. Dazu darf sich der Reiter mit seinem Oberkörper nicht hinter die Senkrechte lehnen oder zu schwer in den Sattel setzen, um die Bewegungen über den Rücken nicht zu blockieren. Ein lockerer Sitz in Mittelposition auf den beiden Sitzbeinhöckern ist gewünscht.
Zervikothorakaler Übergang
Der Übergang von Halswirbelsäule in Brustwirbelsäule ist entscheidend für losgelassene Rückentätigkeit, gedehnte Halshaltung, den richtigen Ganaschenwinkel und die Maultätigkeit des Pferdes. Damit das Pferd in der Lage ist, einen Menschen auf dem Rücken zu tragen, ist es wichtig, die ventrale Wirbelsäule zu stabilisieren.
Die Halswirbelsäule verändert ihre Krümmung im Raum von konvex zu konkav. Die ansteigende Oberlinie wird durch die Länge der Dornfortsätze geformt. Etwa eine Handbreite über dem Buggelenk schließt sich der 7. Halswirbel an. Durch das Anheben des Brustbeins im Raum wird die Konkavität der caudalen Halswirbelsäule reduziert. Die Pferde werden im Hals länger und dehnen sich in der Halsoberlinie auf. Die Halswirbelsäule wird somit durch M. longissimus cervicalis, M. spinalis und dem M. serratus ventralis cervicalis getragen und die Zwischenwirbelgelenke werden entlastet. Kann dies nicht gewährleistet werden, wird der Hals in einem falschen Knick gehalten, die S-Form der Halswirbelsäule verstärkt sich und der Hals erscheint kurz und dick. Zudem ist die Ganaschenfreiheit eingeschränkt.
Wird der Widerrist angehoben, bekommt das Schulterblatt mehr Platz, um auf dem Thorax zu gleiten. Die Vorhand kann somit raumgreifender arbeiten und losgelassen nach vorne schwingen. Die Flexoren der Halswirbelsäule arbeiten in der relativen Aufrichtung nicht als Beuger, denn wenn das der Fall ist, bildet das Pferd seinen Unterhals aus und die dorsal konkave Form der caudalen Halswirbelsäule verstärkt sich. Durch eine zu starke Handeinwirkung oder ein Ausweichen des Pferdes von den Reiterhilfen, wie zum Beispiel Aufrollen oder auf den Zügel legen, verengt sich der Ganaschenwinkel und der genannte Bereich wird gequetscht. Das erschwert das Abschlucken von Speichel, wodurch sich dieser vermehrt am Maul sammelt oder sogar auf Brust und Vorderbeine gesabbert wird. Dieses Bild ist nicht erwünscht und darf nicht mit einer losgelassenen Speichelbildung verwechselt werden!
In der relativen Aufrichtung versucht man eine sogenannte Rahmenerweiterung zu erreichen. Das bedeutet, dass sich die Oberlinie dehnt, das Pferd eine positive Körperspannung aufweist und der Träger des Halses in der Lage ist, gleichzeitig aktiv zu arbeiten sowie sich zu dehnen.
Damit sich der Wirkungskreis zwischen ventraler und dorsaler Kette schließt, muss das Pferd von hinten nach vorne an die Reiterhand herantreten, um eine weiche Anlehnung herzustellen. Wird die Verbindung zum Pferdemaul unterbrochen, kann die Dynamik nicht weitergeleitet werden. Die positive Spannung geht verloren, das Pferd muss die entwickelte Kraft von der Vordergliedmaße auffangen und das Pferd wird oben in absoluter Aufrichtung abgestellt.
Befindet sich das Tier in weicher Anlehnung und wird in passender Ausrüstung geritten, kaut es entspannt am Gebiss. Dies führt zur Aktivierung und Losgelassenheit der ventralen Halsmuskulatur. Darunter zählen M. sternomandibularis, M. sternohyoideus, M. omohyoideus und M. longus capitis. Die „Unterhalsmuskulatur“ ist dann zum Kauen, Vorführen der Vordergliedmaße und Seitneigung des Halses aktiv. In der Funktion als Rumpfträger werden sie von den jeweiligen Antagonisten (Halsträgern) entlastet. Für die Kraftentwicklung der Halsträger ist die Position des Reiters von Bedeutung. Das Verhältnis zwischen Kraft- und Lastarm muss stimmig sein, damit die dorsale Halsmuskulatur in Zusammenarbeit mit der Bauchmuskulatur den cranialen Thorax samt Sattel und Reiter in angehobener Position halten und stabilisieren kann. In diesem Fall reicht der Kraftarm (Halsträger) vom Kopf bis zum zervikothorakalen Übergang, der Lastarm beschreibt den Bereich des Übergangs bis hin zum Sitzpunkt des Reiters. Das bedeutet, dass eine Verlagerung des Reiters oder sogar des kompletten Sattels nach hinten eine massive Erschwerung für das Pferd darstellt, sich aus dem Widerrist heraus tragen zu können.
Absolute (aktive) Aufrichtung
Die Halswirbelsäule wird durch die Extensoren getragen, es handelt sich um eine statische und keine dynamische Muskelarbeit und ist nicht auf die Relation der Hinterhand- und Rückenaktivität zurückzuführen. Der caudale Bereich der Halswirbelsäule wird nicht angehoben, sondern sinkt eher ab und das Brustbein wird nach ventral und cranial geschoben. Das Anheben findet nur im cranialen Teil der Halswirbelsäule statt, dabei kommt es zu einem falschen Knick auf Höhe des dritten Halswirbels. Das bedeutet, dass die Nackenmuskeln die Last des Kopfes ohne Unterstützung der Halsträger halten müssen. Durch diese Überlastung reagiert das unterstützende Nackenband mit Gewebsveränderungen wie zum Beispiel Kalkeinlagerungen.
Der Hals wird kürzer, die Facettengelenk werden durch die forcierte S-Form komprimiert und das Pferd weicht durch die verstärkte Flexion zwischen Hinterhaupt und C3 in der unteren Halswirbelsäule aus. Auch der restliche Rücken reagiert mit einer Extension. So kann das Pferd nicht losgelassen laufen und zeigt Taktfehler. Weiterlaufend führt die eingenommene Haltung zu einem nach cranial rotierten Becken, die Bauchmuskeln sind schlecht ausgeprägt und die Rückenmuskulatur ist überlastet. Dadurch kann das Pferd nicht mehr unter den Schwerpunkt treten, der Schub aus der Beckengliedmaße bleibt aus und es schaufelt mit der Hinterhand nach hinten hinaus.
Bedingt durch dieses unphysiologische Auftreten kommt es zur Überlastung der Kniegelenke und -bänder sowie der distal gelegenen Strukturen. Die komplette Hintergliedmaße nimmt somit durch ein falsches Reiten und der gezwungenen Haltung Schaden.
Training
Damit die Gesundheit des Bewegungsapparates sowie ein taktmäßiges und losgelassenes Reiten gewährleistet werden kann, ist eine muskuläre Entwicklung von innen und außen beziehungsweise von klein nach groß von Nöten.
In der Ausbildung eines Reitpferdes steht das Training der rumpfnahen Muskulatur an erster Stelle, um die Muskulatur der Wirbelsäule zu stabilisieren die den Pferden hilft, sich ausbalancieren zu können. Erst nach sorgfältigem Training der tiefen Strukturen wird die oberflächliche Muskulatur erarbeitet, die für kraftvolle und spektakuläre Bewegungen zuständig ist. Die kurzen Muskeln der Wirbelsäule sind für die Stellung und Koordination der Wirbel zuständig. Diese werden angesprochen, wenn das Pferd koordinativ gearbeitet und für spezifischen Bewegungs- und Übungsabläufen vorbereitet wird. Für das Training dieser Muskeln eignen sich Übergänge, Seitengänge, Bergauf- und Bergabarbeiten, /-reiten, Stangen- und Cavalettiarbeit sowie das Arbeiten auf verschiedenen Untergründen. Entscheidend ist aber, dass sich die Pferde in diesen Übungen in einer relativen und nicht absoluten Aufrichtung befinden, damit sie über den Rücken arbeiten können und nicht in Schonhaltungen verfallen.
Geraderichtung
Unter der „natürlichen Schiefe“ versteht man die Veranlagung jedes Lebewesens, in sich nicht symmetrisch zu sein. Durch die Anordnung von Organen und der Lage beider Gehirnhälften besitzt auch das Pferd eine Seite, zu der es mehr „gebogen“ ist als zur anderen. Diese Seite wird auch als „hohle Seite“ bezeichnet. Hier ist die Muskulatur strukturell leicht verkürzt, wodurch sich das Pferd auf der Gegenseite schlechter in die Längsbiegung bringen lässt. Der Reiter bekommt den Eindruck, das Pferd auf dieser Seite schlechter stellen und biegen zu können, da die Dehnungsfähigkeit herabgesetzt ist. Dies kann zu unterschiedlichen koordinativen Bewegungsabläufen zwischen rechter und linker Hand führen.
Neigt ein Pferd vermehrt dazu auf der rechten Hand über die linke Schulter auszuweichen, das rechte Becken auf den 2. Hufschlag zu schieben und mit der rechten Vordergliedmaße zu stützen, kann dies auf eine hohle rechte Seite hinweisen. Wird das in der Ausbildung von Jungpferden nicht korrigiert, kommt es zu Überbelastung und Verschleißerscheinungen der Vorderbeine und nicht selten können sich Überbeine ausbilden.
Um die Gelenke und umliegenden Strukturen zu schützen, ist ein biometrisch korrekter Bewegungsablauf aller beteiligten Gelenke notwendig. Die Geraderichtung verfolgt das Ziel der gleichmäßigen Entwicklung und Verteilung von Koordination und Kraft in beiden Körperhälften. In vielen Lektionen liegt die Schwierigkeit der unzureichenden Geraderichtung zugrunde.
Die Gliedmaßen bewegen sich in den Grundgangarten in 4 Phasen:
Schultergliedmaße
Die erste Phase beschreibt das Anheben der Schultergliedmaße, das durch die Muskeln M. rhomboideus und M. trapezius über das dorsal Gleiten der Scapula (Schulterblatt) eingeleitet wird. Die Bewegung wird weitergeleitet und es kommt zur Beugung in der gesamten Gliedmaße über das Schultergelenk, dem Ellbogengelenk und weiter über das Karpalgelenk bis hin zu den Zehengelenken. Ausgelöst wird die Bewegungskette unter anderem durch Mm. teres major und minor, deltoideus, triceps brachii, brachialis, biceps brachii, flexor und extensor carpi ulnaris oder Mm. Flexor digitalis superficialis und profundus.
Hier wird die Schultergliedmaße mithilfe des M. brachiocephalicus sowie dem M. omotransversarius und M. pectoralis superficialis hervorgeführt. Dabei wird die Scapula nach caudal rotiert (M. serratus ventralis, M. trapezius). In Verlängerung wird die Gliedmaße im Anschluss gestreckt. Hier sind folgende Muskeln beteiligt: Mm. biceps brachii, coracobrachialis, subscapularis, supraspinatus, infraspinatus, triceps brachii, tensor fasciae antebrachii, anconeus, extensor digitalis communis und lateralis, extensor carpi radialis.
Die dorsalen Gelenkspalten des Karpal- und Fesselgelenkes werden in der Trabverstärkung komprimiert.
Die Sohle hat Kontakt zum Boden, die Strecker sind aktiv und die Schultergliedmaße ist belastet. Schulter- und Ellbogengelenk der stützenden Seite werden durch umliegende Strukturen und dazugehörige Muskeln stabilisiert. Steht die vordere Gliedmaße senkrecht, sind oberflächliche und tiefe Beugesehne sowie dem Unterstützungsband eine sehr hohe Belastung ausgesetzt. Zudem fangen die Strukturen die übertragenen Kräfte auf und stabilisieren die Streckung der Gelenke. Das Karpalgelenk gerät in eine Hyperextension, bei der die dorsalen Gelenkflächen komprimiert werden und die palmaren Band- und Sehnenstrukturen der Dehnung ausgesetzt sind. Das Fesselgelenk federt im Anschluss in Extension.
Der übertragene Schwung der Beckengliedmaße und die Last des Thoraxes werden durch den M. pectoralis und serratus ventralis, die sogenannten Rumpfträger, aufgefangen und der Brustkorb kann sich anheben. Mithilfe der Mm. latissimus dorsi und pectoralis profundus kann dieser „vorwärts geschoben“ werden. Die tiefe Beugesehne wechselt von exzentrischer zu konzentrischer Arbeit und stoßt die Zehe wieder vom Boden ab. Das Fesselgelenk richtet sich auf.
Ist die Brustwirbelsäule in Extension oder Flexion eingeschränkt, kann es zu verkürzten Schritt- oder Sprunglängen kommen.
Beckengliedmaße
Die Hintergliedmaße hat die Aufgabe, Schub zu entwickeln und die Kraft nach vorne zu entfalten.
Durch den Spannsägenmechanismus kommt es zur Mehrfachbeugung der Gelenke der Hintergliedmaße. Der M. iliopsoas ist der kräftigste Beuger des Hüftgelenks und wird von den Mm. rectus femoris, tensor fasciae latae, sartorius und glutaeus superficialis in seiner Funktion unterstützt. Für die Beugung der tiefer gelegenen Gelenke sind unter anderem die Mm. biceps femoris, semitendinosus, popliteus, gastrocnemius, tibialis cranialis, fibularis tertius, flexor digitalis superficialis und profundus verantwortlich.
Besitzen die langen Sitzbeinmuskeln sowie die Rückenmuskeln die nötige Dehnfähigkeit, gelingt dem Pferd das Vorschwingen der Hintergliedmaße. Dabei wird das gesamte Bein mithilfe von Mm. quadriceps femoris, semimembranosus, fibularis tertius, extensor digitalis longus, gastrocnemius, soleus, biceps femoris, semitendinosus und flexor digitalis superficialis, extensor digitalis longus und lateralis gestreckt.
Die Zehe soll unter dem Schwerpunkt des Pferdes auffußen. Bei verkürzter Sitzbein- und Rückenmuskulatur bleibt die Bewegung der Hintergliedmaße in der 2. Hangbeinphase stecken und die Schrittlänge ist verkürzt. Damit der hintere Huf in der Spur des vorderen fußen kann, wird die Außenrotation des Hüftgelenks durch Mm. sartorius, pectineus und gracilis limitiert. Bei Lastübernahme wird das Kniegelenk durch den M. quadriceps und das Sprunggelenk mithilfe der Spannsägenkonstruktion stabilisiert. Das Fesselgelenk federt wie bei der Vordergliedmaße in Extension. Fesselträger, tiefe und oberflächliche Beugesehne müssen die Last abfangen.
Ebenso dient die tiefe Beugesehne der Aufrichtung der Zehengelenke. Die Gelenke kommen in Extension und die langen Sitzbeinmuskeln sowie der M. glutaeus medius sorgen für ein kraftvolles Abstoßen und schiebt somit den Körper nach vorne.
In der 1. und 2. Hangbeinphase wird die Lendenwirbelsäule, der thorakolumbale sowie lumbosacrale Übergang flektiert und das Becken nach caudal rotiert. In der 1. Phase kommt es zum Absinken der homolateralen Beckenhälfte und zur Rotation der Lendenwirbelsäule zur Gegenseite. Die homolateralen Seitneigung folgt in der 2. Phase. Bei der 1. und 2. Stützbeinphase muss die Bewegung der Lendenwirbelsäule sowie die der oben genannten Übergänge in Extension frei sein, dabei rotiert das Becken nach cranial.
Grundgangarten des Pferdes
Schritt
Das Pferd bewegt sich im Viertakt, gleichseitig aber nicht gleichzeitig. Das heißt hinten rechts – vorne rechts – hinten links – vorne links. Dabei wechselt die Dreibeinstütze zur diagonalen Zweibeinstütze und zurück. Es entsteht kein Schwung oder Schwebephase, da immer 2-3 Beine Bodenkontakt haben. Zwischen den Schritten sollten regelmäßige Zeitabstände hör- und erkennbar sein.
Beim Passgang fußen Becken- und Schultergliedmaße gleichseitig und gleichzeitig auf. Im Schritt sind muskuläre Verspannungen und Taktstörungen am auffälligsten. In Dressurprüfungen wird diese Gangart doppelt bewertet.
An der Wirbelsäule finden kleinste Bewegungen statt, die eine sehr feine Koordination benötigen. Im Gegensatz zum versammelten Schritt fußt die Hintergliedmaße im Mittelschritt über die Spur der Vordergliedmaße hinaus und das Pferd zeigt eine physiologische Nickbewegung, die der Reiter sanft mit der Hand begleiten sollte. Bei jungen und untrainierten Pferden ist der Kopfpendel noch stärker ausgeprägt. Das Pferd befindet sich in relativer Aufrichtung und die Stirnlinie ist in der Senkrechten.
Trab
Der Trab ist ein Zweitakt und besitzt eine Schwebephase. Es kommt zu einem diagonalen Auffußen von Vorder- und Hinterbein. Die Gliedmaßen, die sich in der Hangbeinphase befinden, bilden eine Parallele. Ist dies nicht der Fall, kann die Vordergliedmaße nicht aus dem Schub der Hintergliedmaße profitieren. Pferde, die vorne gehalten, eng geritten und stark vorhandlastig laufen, können eine Einbeinstützphase der Vordergliedmaße aufweisen. Damit geht immer ein grober Taktfehler einher. Vergleichbar mit der langsameren Gangart fußt das Pferd im Arbeitstrab in die vorgegebene Spur, während es im Mitteltrab durch den vermehrten Schwung über die Spur hinaus fußt. Raumgriff und „Rahmen“ des Pferdes sollen sich hierbei vergrößern.
Durch das Dehnen des Halses und das Vorstrecken der Nase entwickelt sich im starken Trab noch mehr Schub und Raumgriff. Im Gegensatz dazu muss die Hintergliedmaße im versammelten Trab mehr Tragkraft entfachen und der Rahmen des Pferdes verringert sich.
Das Bewegungsspiel bei jungen und untrainierten Pferden ist durch die fehlende Rumpfstabilität sehr groß. In der diagonalen Stützbeinphase kommt es zur gegensinnigen Rotation und Seitneigung der oberen Brustwirbelsäule in Vergleich zur unteren. Während dieser „Verschraubung“ wird der Rumpf stabilisiert und die Bauchmuskulatur aktiviert.
Galopp
Das Pferd springt im Galopp im Dreitakt mit Schwebephase. Am Beispiel des Linksgalopps sind diese 6 Phasen erkennbar.
In der Einbeinstütze wird das Gewicht des Pferdes nur von einer Gliedmaße getragen. Der Raumgriff im Arbeitsgalopp beträgt ca. eine Pferdelänge. Der Schub wird dabei an die Vordergliedmaße weitergeleitet. In dieser Gangart ist die Bauchmuskulatur am aktivsten und der Thorax wird mithilfe des M. longissimus am weitesten angehoben. Der Galopp soll zudem bergauf erfolgen. Im Mittel- und starken Galopp vergrößert sich der Raumgriff sowie der Rahmen des Pferdes erneut. Reitet man ein Pferd im versammelten Galopp, tritt dieses mit der Hintergliedmaße deutlich unter den Schwerpunkt und nimmt vermehrt Last auf. Während der Einbeinphase erfolgt eine Seitneigung zur homolateralen Seite und eine Extension der Lendenwirbelsäule. Hierbei ist die Belastung zwischen L6 und S1 am höchsten. Die Muskulatur muss exzentrisch arbeiten, um die Bewegung zu stabilisieren und das Verletzungsrisiko zu minimieren.
Findet ein Galoppwechsel nicht in der Schwebephase statt und kann somit nicht in beiden Beinpaaren stattfinden, springt das Pferd nur vorne oder hinten um und landet im Kreuzgalopp. Der klare Dreitakt ist gestört und endet in Vierschlaggalopp, den man bei übereiltem Tempo und im Renngalopp hören kann.
Quellen:
Bewegungsapparat Pferd - praxisbezogene Anatomie und Biomechanik
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